Interview mit Jivka Ovtcharova

„Unternehmen müssen eine eigene KI-Kompetenz entwickeln“

ddp (7)
Prof. Jivka Ovtcharova
Leiterin des Instituts für Informationsmanagement im Ingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Direktorin für Prozess- und Datenmanagement im Ingenieurwesen im Bereich Intelligente Systeme und Produktionstechnik am Forschungszentrum Informatik (FZI) in Karlsruhe

Künstliche Intelligenz (KI) kann dem demografischen Wandel entscheiden entgegenwirken, meint Jivka Ovtcharova. Sie ist Professorin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Direktorin am Forschungszentrum Informatik Karlsruhe (FZI) sowie Jurymitglied der ddp-Kategorie „Zukunft der Arbeit“.

Frau Ovtcharova, Künstliche Intelligenz (KI) verbinden viele Menschen derzeit vor allem mit Chatbots. KI ist aber mehr. Klären Sie uns kurz auf: Was fällt alles darunter?

Vorab: Eine einheitliche Begriffsdefinition gibt es nicht. Aus meiner Sicht lässt sich KI in vier Kategorien einteilen:  Maschine Learning auf Basis von Daten und Algorithmen für Mustererkennung, Intelligente Maschinen – also die Verknüpfung davon mit Robotik-Hardware –, 3-D-Visual Data Mining und Metaverse sowie Chat GPT.

Mit letzterem ist das Thema einer breiten Öffentlichkeit zugänglich geworden.

Richtig. Es beschäftigt die Menschheit aber schon seit rund 70 Jahren. Der Begriff Künstliche Intelligenz entstand bereits 1956.  Der Informatiker John Mc Carthy soll ihn bei einer Konferenz von Wissenschaftlern am Dartmouth College in Hanover im US-Bundesstaat New Hampshire vorgeschlagen haben. Damals suchte man einen Terminus, der die Fähigkeit von Computern und Maschinen, Aspekte des Lernens sowie andere Merkmale menschlicher Intelligenz wie logisches Denken zu simulieren, umschreibt und greifbar macht. Es ging darum, einen Begriff zu finden, der visionär klingt und Neugierde weckt.

Mit Blick darauf, wie kontrovers KI diskutiert wird, scheint das gelungen.

Auf jeden Fall. Allerdings ist der Begriff Künstliche Intelligenz ein Oxymoron, also ein Widerspruch in sich.

Inwiefern?

Es gibt keine maschinelle künstliche Intelligenz, die der menschlichen vergleichbar wäre. Denn Intelligenz ist nicht nur Kopfarbeit, dazu gehören etwas auch Erfahrungen, emotionale Intelligenz etc. Bei KI gibt keine wirklichen Denkprozesse. Dahinter stehen künstliche neuronale Netze, also Algorithmen, die der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachempfunden sind. Ein Algorithmus wiederum ist eine Art Kochrezept. Wir Menschen geben ein Muster, eine Abfolge von Schritten vor, wie ein Problem angegangen und gelöst werden soll, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Aber Algorithmen können sich weiterentwickeln…

In gewisser Weise ja. Beim Unsupervised Learning, dem unüberwachten Lernen, geht es darum, dass Maschinen in nicht explizit vorgegeben Daten verborgene Muster erkennen und etwas Neues und Unbekanntes entdecken. Das kann etwa in der Medizin sehr nützlich sein, weil die Maschinen sehr schnell eine Menge an Daten analysieren können. Der Arzt erhält damit eine gute Unterstützung bei der Entscheidungsfindung , wenn er etwa nicht genau weiß, wonach er sucht. Wichtig ist: Er hat das letzte Wort, zieht die Schlussfolgerungen und entscheidet letztendlich, nicht die KI.

Dass es nicht so ist, unter anderem davor haben die Menschen auch Angst.

… wie vor allem, was sie noch nicht richtig verstehen. ChatGPT & Co zeigen doch schon, wie nützlich KI sein kann. Darum müssen Unternehmen eine eigene KI-Kompetenz entwickeln, sich mit den Prozessen befassen und nicht nur die Soft- und Hardware kaufen. Und sie sollten jeden Mitarbeitenden auf diese Reise  mitnehmen, ihm die Angst vor KI nehmen, ihn vom Betroffenen zum Beteiligten machen. KI selbst ist nicht gefährlich. Es ist ein Werkzeug, dass ich allerdings wie jedes Tool zu guten Zwecken einsetzen aber auch missbrauchen kann. Deshalb muss sein Einsatz kanalisiert und gesetzlich geregelt werden.

Hinter der Angst steht auch die Befürchtung, im Arbeitsalltag ersetzt zu werden.

Tatsächlich verändert KI unsere Art zu arbeiten und den Arbeitsmarkt. Und es werden dadurch auch Jobs wegfallen, zumindest solche, die vorwiegend aus routinemäßigen Tätigkeiten bestehen. Aufgaben, bei denen menschliche Interaktivität notwendig ist, und auch kreative Jobs zum Beispiel, sehe ich hingegen nicht in Gefahr. KI ist nicht kreativ, auch wenn es so scheint, sondernd kombinierend. Grob gesagt: Das I steht für Imitation, nicht für Intelligenz. Der Output etwa von Chabots kann nur als Hilfsmittel dienen, nicht als Lösung, weil er stets verifiziert werden muss. Sie geben keine vertrauenswürdigen Antworten, denn sie suchen nur in öffentlich verfügbaren Quellen und nicht etwa in wissenschaftlichen Datenbanken.

Inwieweit kann KI helfen, die Folgen des demografischen Wandels – eine alternde Gesellschaft, weniger Fachkräfte – abzumildern, die Produktivität hierzulande zu steigern?


KI richtig eingesetzt trägt dazu bei, dass wir uns auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren können und zwar unabhängig von Alter, Geschlecht , Sprache und Bildungsniveau. Nehmen Sie den Bereich Pflege: KI und Robotik können Pflegekräfte dabei unterstützen Arbeitsabläufe zu analysieren und zu optimieren, Medikamentenpläne zu erstellen, Vitalfunktionen zu überwachen etc., sodass diese mehr Zeit für Zwischenmenschliches haben. Langfristig werden auch Serviceroboter verstärkt zum Einsatz kommen.
Schöner Zusatznutzen: Pflegebedürftige können durch KI wieder selbstständiger werden, wenn diese ihnen im Alltag assistiert. Zudem lässt sich Arbeit mit KI attraktiver und einfacher gestalten. Beispiel Logistik: Werden Arbeitende hier nicht mehr so stark physisch belastet, bleiben sie länger gesund – und stehen mitunter länger dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.