Interview mit Griselda Welsing
„Ehrenamt geht uns alle etwas an“
Wenn wir uns umeinander kümmern, gemeinsam anpacken, können wir viel mehr erreichen – auch volkswirtschaftlich. Davon ist Griselda Welsing (42) überzeugt. Sie ist Co-Gründerin von We A.R.E. e.V. – Anti-Rassismus-Edukation und Jurymitglied in der ddp-Kategorie „Gelebte Diversity“.
Frau Welsing, Angaben des ZiviZ-Surveys 2023 zufolge wird es in vielen Bereichen immer schwieriger, freiwillig Engagierte zu finden und längerfristig zu binden – vor allem in Leitungsfunktionen. Auch investieren viele Menschen heute oft weniger Zeit in ihr Ehrenamt. Wo sehen Sie Gründe für diese Entwicklung?
Einerseits ist das eine Frage der Möglichkeiten, andererseits der Priorisierung. Menschen müssen heute produktiver sein als früher. Dabei können sie sich weniger Zeit für Aufgaben nehmen, für die sie nicht mit Geld entlohnt werden. Manche können sich das tatsächlich heute auch nicht mehr leisten. Gerade die Generation Mitte, die 30-59-Jährigen, steht zudem unter starkem Druck, sieht sich vielen Erwartungen der Gesellschaft gegenüber. Aber Ehrenamt geht uns alle an, ist unverzichtbar.
Weil sonst unser System, die Gesellschaft in einigen Bereichen gar nicht mehr funktioniert?
Sicher auch das – wobei gründlich hinterfragt werden muss, inwieweit das sein kann und was davon Aufgabe des Staates sein sollte. Vor allem aber deshalb, weil jeder/jede Einzelne Teil der Gesellschaft ist, irgendwann selbst von Ehrenamt profitiert (oder davon abhängig ist) und wir viel mehr erreichen können – auch volkswirtschaftlich –, wenn wir uns gegenseitig umeinander kümmern, gemeinsam anpacken.
Was insbesondere?
Wir legen die Basis für eine bessere Teilhabe aller, am täglichen Leben, Bildung und Sport etwa. Denn es gibt nun einmal strukturelle Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, dessen müssen wir uns bewusst sein. Und wir schaffen zugleich ein besseres Verständnis für unsere diverse Gesellschaft und einen besseren Umgang miteinander, weil wir andere Lebensrealitäten kennenlernen. So wird der/die Einzelne besser einbezogen, werden Vorurteile leichter abgebaut, Diskriminierung und Rassismus gleichzeitig minimiert. Erst, wenn man sich der strukturellen Unterschiede bewusst ist, kann man sie benennen, bearbeiten und sich auf ein gemeinsames Wertesystem verständigen.
Es gibt einige Faktoren, die schon dazu geführt haben, dass wir enger zusammenrücken, die Menschen sich engagieren: Die schlechte CO2-Bilanz, Corona, der Krieg in der Ukraine, der zunehmende Rechtsruck etwa.
Die Hilfsaktionen in Krisenzeiten, dass viele Menschen gegen Rassismus aber auch für die Umwelt auf die Straße gehen – das alles ist wichtig und richtig. Trotzdem wünsche ich mir, dass wir nicht nur durch ein mögliches kollektives schlechtes Gewissen zum Handeln motiviert werden, sondern durch die Chancen, die uns „Gutes tun“ eröffnet.
Was können wir tun, um das Ehrenamt weiter zu stärken?
Wir müssen es noch populärer machen, noch deutlicher wertschätzen. Das bedeutet auch, es beim Namen zu nennen, statt Freiwilligentätigkeit den Terminus „Ehrenamt“ zu benutzen, diesen neu aufzuladen – denn hier steckt die Wertschätzung mit drin: ein ehrenvolles Amt bekleiden. Zeigen, dass wir glücklicher sind, profitieren, wenn wir einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Das kann – oder muss – man nicht mit Geld aufwiegen.
Sie engagieren sich selbst ehrenamtlich in Ihrem Verein, um ein Bewusstsein für rassismuskritische und diversitätssensible Erziehung sowie Bildung insbesondere im frühkindlichen Bereich zu schaffen.
Ja, gemeinsam mit drei weiteren Müttern. Von denen übrigens eine keinen Migrationshintergrund hat, aber findet: Das Thema geht uns alle an. Denn Rassismus ist zum Beispiel auch, wenn man jemandem aufgrund seines Aussehens positive Eigenschaften zuordnet. Menschen unterscheiden sich, aber es geht unter anderem darum, diese Unterschiede wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten. Wir sind alle unterschiedlich, und das ist ganz wundervoll – dabei sind wir alle gleich wertvoll Hier können wir mit unserem ehrenamtlichen Einsatz helfen, früh für das Thema zu sensibilisieren.
…und andere zu motivieren, sich selbst ehrenamtlich zu engagieren.
In der Tat ist es wichtig, Ehrenamt vorzuleben. Es gibt Gott sei Dank genügend gute Role-Models, Vorbilder, die inspirieren. Um so wichtiger ist es, der Vielfalt des Ehrenamtes eine Bühne zu geben. So können wir auch die Menschen dazu bewegen, sich zu engagieren, die das eigentlich möchten, die jedoch einen kleinen Schubser brauchen, damit sie es auch tun. Die Möglichkeiten sind gleichermaßen vielfältig. Die ehrenamtlichen Projekte beim ddp sind ein wichtiges Zeichen, zeigen den Mehrwert von Engagement und stimmen zuversichtlich.